Rose-Marie Bohle: Eröffnungsrede zur Ausstellung im K!IMO am 14.7.2007
Meine Damen und Herren,
Man möchte sich doch wünschen, dass auch mal die Männer nackt zum Frühstück im Freien erscheinen! Hut, Krawatte, Gehrock und Stock,
die äußeren Zeichen ihrer gesellschaftlichen Bedeutsamkeit – ablegen, und sie lässig neben den Picknickkorb und die Kleider
der entblößten Frau werfen. Vielleicht wissen Sie schon, wovon ich spreche: von Manet’s „Das Frühstück im Freien.“
Erinnern Sie sich: Eine unbekleidete Frau sitzt vor zwei vollständig angekleideten Männern, im Hintergrund eine Frau im Unterkleid.
Einzig die nackte Frau schaut aus diesem Bild heraus, schaut uns an, direkt, mit einem Lächeln, ohne Scham, auch ohne jede Koketterie.
Sie zeigt – obwohl sie dicht bei den Männern sitzt, mit diesem Blick, dass sie nicht auf die Männer bezogen ist, sie ignoriert
die herausfordernde Hand des rechten Mannes. Sie drückt in ihrer Nacktheit auf eine Weise eine Freiheit aus, wie sie zum
Zeitpunkt der Entstehung des Bildes, 1863, überhaupt keine Selbstverständlichkeit war.
Warum beginne ich mit diesem berühmten Bild? Weil es sofort vor meinen Augen erschien, als ich die Einladung zu dieser Ausstellung
in den Händen hielt. Es war nicht geplant, wie so vieles in der Kunst nicht, es kam mir aber vor, als hätte Rosa Reichenbach
diese Szene ins 21. Jahrhundert transportiert, als hätte sie das Geschäft als Teil eines Kunstwerks genommen, in dem die nackte
Frau in vielfacher Ausführung in ihren Collagen und Luftskulpturen wieder erscheint. Nur mit einem Unterschied: hier sind ja keine
Männer ausgestellt, sondern lediglich ihre Bekleidungsmöglichkeiten, ihre äußere Hülle. Kann man also so weit gehen und behaupten,
dass hier Rosa Reichenbachs Frauen noch einen Schritt weiter aus dem Blick bedeutungsgebender Männer herausgetreten sind?
Sind sie deshalb so frei, sich selbst in ihren Bewegungen zu erkunden, sich wie Anziehpuppen Kleider umzuhängen, die sie im
nächsten Moment auch wieder wechseln können, denn sie wollen nicht durch ihre äußere Hülle festgelegt werden.
Sie zeigen sich ganz wörtlich genommen in einer Vielschichtigkeit, in der die einzelnen Schichten aber noch sichtbar bleiben,
sie müssen das nicht geheim halten, weil sie sich der Erwartung einer einzigen Identität verweigern. Sie verweigern sich
eindeutigen Zuweisungen und Festlegungen von Bedeutung, Rolle und Schönheitsideal. Das macht sie frei.
Da fassen sich vier Frauen an und tanzen über den Bäumen, wie in der Luftskulptur im Ladenraum zu sehen ist. Sie fühlen sich groß,
größer als Bäume, sie stoßen an den Rand der ihnen zugedachten Fläche, vielleicht sehen sie sich mit dem Herzen gut, wie der kleine
Prinz behauptet, zwei Herzen hat Rosa Reichenbach ihrem Tanz hinzugefügt. Und wenn Sie genau hinschauen, dann entdecken Sie,
dass der eine Baum frech aus einem Stück Papier ausgeschnitten ist, auf dem eine Putzanweisung zu sehen ist, eine Hand mit einem
Putzlappen, die mit zwei Pfeilen in eine Hin- und Her-Bewegung geführt werden soll. Diese Frauen haben Besseres zu tun.
Es ist in ihren Collagen so, als ob sich die Frauen immer wieder neu erfinden, nachdem sie so lange durch den männlichen Blick
definiert wurden. Sie räkeln sich in ihrer Nacktheit, posieren fast ein wenig, aber es ist keine Pose wie von Frauen, die auf dem
Laufsteg sind, mit Blicken locken, mit Blicken und Gesten Versprechungen geben, sie gehören erst mal nur sich selbst. Da ist die
Frau, die fliegt, in einem Glitzerkleid fliegt sie auf etwas zu, sie hat große Hände, mit denen sie wirklich etwas greifen kann.
Sie ist Teil eines Paares am Trapez, das männliche Gegenstück fehlt in dieser Ausstellung. Nehmen wir also die Männer, die
dieses Geschäft betreten werden. Sie könnte auf sie zufliegen, aber werden sie es merken? Werden sie auch in diese Bewegung
einschwingen, um sie zu treffen?
Da sind Frauen, die ihre Nacktheit mit einer Schicht Tüchern bedeckt haben. In dieser Collage recken sie sich nach oben.
Am oberen Bildrand ist ein Haus. Was bedeutet dieses Haus für sie? Immer wieder tauchen Häuser in Rosa Reichenbachs Collagen auf,
und tatsächlich gibt es ja eine sehr enge Verbindung zwischen Frauen und Häusern. Man kann soweit gehen und sagen, sie hat
lange Zeit nie wirklich ein eigenes gehabt, sie war das Haus für andere, nicht nur ihr Leib, auch ihre Anwesenheit im Haus,
das sie für andere warm und belebt hielt. Hier sind die Frauen außerhalb des Hauses, recken sich vielleicht ihm entgegen,
aber noch ist ihre Verbindung nicht klar. Vorerst haben sie mit den Tüchern eine Behausung geschaffen, jede allein und getrennt.
Rosa Reichenbach verlässt Jahrhunderte alte Konventionen. Nicht nur in ihren Figuren, nicht nur in ihrem wie flüchtig erscheinenden
Strich, nicht nur in der Wahl
des Materials, sie verweigert sich konsequenterweise auch der konventionellen Rahmung von Bildern,
die Kunst sozusagen einen abgegrenzten Raum zuweist. Die Rahmung innerhalb zweier Plexiglasscheiben ist ein Schritt weg davon,
es ist eher ein Schutz als eine Rahmung. Die Luftskulpturen gehen nicht nur einen Schritt weg von etwas, sondern haben etwas
wirklich Neues geschaffen.
Wir haben hier nicht Raum füllende Skulpturen, sie nehmen, wie die Collagen auch, den Raum auf und zugleich verändern sie den
Blick auf ihn – machen also das, was der Kunst innewohnt: den Blick auf die Welt verändern. So dass in diesem Fall nicht
nur Regale in einem Bild erscheinen, man nicht nur ein Geschäft für Herrenoberbekleidung betritt, sondern ein Gesamtkunstwerk,
das ein Bild von Manet mit all seinen Bedeutungen reinszeniert. Da wollte man ganz harmlos mal außergewöhnliche italienische
Herrenmode oder gar den Hochzeitsanzug anprobieren und schon befindet man sich mitten in der Thematisierung des Verhältnisses
von Mann und Frau, wo man doch grade beschlossen hat, eine solche Frau zu heiraten, mit ihr in ein Haus zu ziehen, und - wenn
die Frau schon nicht in dieses zu verbannen, so aber doch zu erwarten, sie dort anzutreffen!
Könnte es aber sein, so beschleicht einen dann beim Betrachten dieser Bilder der leise Verdacht, dass sich Frauen selbst ganz
anders sehen? Wie definieren sie sich? Möglicherweise überhaupt nicht? Auf einem Bild sehen wir vier Frauen, neben ihnen ein
Segelboot und ein Stück Meer und Wellen. Steht das Boot bereit, die Frauen in die Weite hinauszutragen? Zu den unbegrenzten
Möglichkeiten ihrer Selbsterfahrung? Eine Frau hat keinen Oberkörper. An seiner Stelle sind blaue Flächen, schwarze Wellen
sind in ihnen eingezeichnet. Ist die Frau das Meer, die Weite, das Unbegrenzte? Auch für Männer?
„Ach Liebster, könntest Du schwimmen, dann bräuchtest Du mich nicht als Meer“, sagt Theweleit in seinem Buch Männerphantasien.
Die erotische Frau als Projektionsort für Wünsche nach grenzenloser Befriedigung und damit Befreiung– keine reale Frau kann das
erfüllen, mit der Folge, dass ihr, neben ihrer Idealisierung, auch Verachtung entgegen gebracht wird. „Ach Liebster, könntest
du schwimmen, dann bräuchtest du mich nicht als Meer.“ In einem Bild schwimmen tatsächlich zwei Männer. Einer ist völlig von
den Wellen bedeckt, ein anderer taucht gerade auf. Sie sind nackt. Vielleicht sind es auch ein Mann und eine Frau. Ich bin
mein Meer, du bist dein Meer, manchmal fließen wir zusammen. Dann entsteht daraus ein neues vielschichtiges Bild, das unsere
Individualität noch sichtbar sein lässt.
In der Kunst finden wir etwas, das vom wirklichen Leben kollektiv abgespalten ist. In der Kunst werden wir wieder damit konfrontiert,
wir lassen uns davon berühren, wenn wir die innere Tür nicht vollends zugeschlagen haben. Hier schwebt es gleichsam wie in
Bildblasen im Raum, Gedanken sind frei, Bilder aber auch.
Das Gefährliche an Kunst, an Bildern ist, dass sie mit Deutungen zwar wieder in den eigenen vertrauten beruhigenden Kontext
eingeordnet werden können, dass sie aber manchmal, viel später noch und in ganz anderen Schichten unserer Wahrnehmung, Verheerendes
und Verwirrung anrichten können, eine Sehnsucht wecken können, die wir längst als unerfüllbar abgetan haben.
Wenn also in nächster Zeit ein nackter Mann dieses Geschäft betreten wird, dann könnte das Verschiedenes bedeuten:
- Er möchte am Frühstück im Freien teilnehmen.
- Er hat wirklich nichts mehr anzuziehen, was aber, soviel man weiß, eigentlich nur Frauen passiert.
- Er hat vorher lange die Bilder angeschaut und will auch mal so ein Lebensgefühl haben wie all diese Frauen
- Oder er will schwimmen lernen, um dann mit einer neuen Freiheit in den Hafen der Ehe einzulaufen.
Ich bitte Sie, lassen Sie ihm ein bisschen Zeit und kleiden Sie ihn nicht gleich wieder ein!
Ich wünsche Ihnen noch einen vergnüglichen Abend!
Copyright Rose-Marie Bohle (www.schreibmeisterei.de)
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